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Non-Professional Interpreting and Translation – Die große weite Welt jenseits der Kabinen und Büros

Am Germersheimer Fachbereich Translations-, Sprach und Kulturwissenschaft der Universität Mainz geht dieser Tage ein erfolgreiches Sommersemester zu Ende. Ein besonderes Highlight war dabei die 2nd International Conference on Non-Professional Interpreting and Translation (NPIT2), die vom 29.-31.Mai 2014 unter der Federführung von Professor Dr. Bernd Meyer und dem Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation stattfand. Sie tritt in die Fußstapfen der NPIT1, die 2012 an der Università di Bologna/Forlì abgehalten wurde.

Was geschieht, wenn Laien als Übersetzer und Dolmetscher fungieren? Seit Beginn des Jahrtausends zieht diese Frage das Interesse unterschiedlichster Forschungsrichtungen auf sich. Die NPIT ist das Forum, in dem sich die Disziplinen im direkten Kontakt austauschen. So reisten Ende Mai rund 100 international renommierte Linguistinnen und Translationswissenschaftler, aber auch Psychologinnen und Soziologen in die südpfälzische Übersetzermetropole, um aktuelle Forschungsfragen rund um nicht-professionelle Sprachmittlung zu diskutieren. Das Themenspektrum der rund 60 Konferenzbeiträge reichte von Kinderdolmetschern in Migrantenfamilien bis hin zu Laienübersetzungen von aktivistischen Internetnutzern.

Grundlage hierfür war die Perspektive, dass Mehrsprachigkeit und der damit verbundene Translationsbedarf in der globalisierten Gesellschaft allgegenwärtig sind. Demnach vollzieht sich Sprachmittlung nicht nur dort, wo professionelle Dolmetscher und Übersetzerinnen im Spiel sind. Im arabischen Supermarkt um die Ecke, in multilingualen Freundeskreisen oder Chatforen geschieht Sprachtransfer permanent und auf eine ganz natürliche Art und Weise. Die Sprachmittelnden können dabei in der Regel nicht auf eine langjährige translatorische Ausbildung zurückblicken. Auch wenn sie die erforderlichen Sprachen beherrschen, sind sie doch in vielerlei Hinsicht auf ihren Instinkt angewiesen.

Man muss also kreativ werden, um die Sprachbarrieren im Alltag zu überbrücken. Das beste Beispiel hierfür ist wohl ein nicht-professioneller „Ein-Mann-Übersetzungsdienst“ am Briefkasten eines Multikulti-Wohnhauses im belgischen Gent, den Peter Flynn (Katholieke Universiteit Leuven) bei seinen Fallstudien ausfindig machte. Dabei überträgt ein Laie täglich fachsprachliche Behördenbriefe in gesprochenen Genter Dialekt, sodass auch Bewohner mit geringen Kenntnissen des Standard-Niederländischen verstehen, was in ihren Postschlitz geflattert ist. Der „Dienst“ ist dabei Teil des sozialen Austauschs im Wohnblock.

Die Frage nach der Wertschätzung nicht-professioneller Sprachmittlung wurde in zahlreichen Konferenzbeiträgen kommentiert. Wie im Panel Interpreting in Church deutlich wurde, ist in einigen Fällen die Professionalität des Dolmetschers zweitrangig. So stellt in manchen Kirchengemeinden die Zugehörigkeit zur jeweiligen Religionsgemeinschaft ein viel zentraleres Kriterium dar, weil sie als Voraussetzung für die glaubwürdige Übertragung emotionsgeladener Predigten gilt. Auch im medizinischen Bereich spricht vieles dafür, in bestimmten Fällen Laien bzw. Familienangehörige der Patienten mit der Sprachmittlung zu beauftragen. Ein von Jonathan Ross (Boğaziçi Üniversitesi) befragter Arzt berichtete, dass eine vom Ehemann (weiter)gegebene Behandlungsempfehlung sehr viel besser von der Patientin angenommen wird als die eines fremden Arztes. Zudem, so ergänzten Marjorie Faulstich Orellana und Krissia Martinez (University of California, Los Angeles), führen interfamiliäre Dolmetscher den Vermittlungsprozess zuhause fort. Das ermöglicht Rückfragen, die bei einem professionellen Dolmetscheinsatz nur schwer geklärt werden könnten.

Eine besondere Gruppe unter den Laientranslatoren bilden Studierende der Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft, die angesichts ihrer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung als präprofessionell bezeichnet werden. An einigen europäischen Universitäten werden Studierende im Rahmen authentischer Lehrprojekte gewissermaßen ins kalte Wasser geworfen. Wie Andrea Cnyrim (FTSK) zeigte, kann durch die Arbeit in kulturell diversen Gruppen die unabdingbare, aber schwer zu vermittelnde interkulturelle Kompetenz auf praktische Weise erlernt werden. Ein Projekt der Universidad de Granada, vorgestellt von Catherine Way, verdeutlichte zudem, dass durch Lehrprojekte auch der Berufsstand insgesamt an Ansehen gewinnt. Nachdem Studierende Rechtstexte für ihre juristischen Kommilitonen übersetzt hatten, waren letztere anschließend derart zufrieden mit dem Ergebnis, dass sie geschlossen angaben, auch im späteren Berufsleben mit Rechtsübersetzern kooperieren zu wollen. Vor der Zusammenarbeit jedoch war weniger als die Hälfte dazu bereit gewesen.

Andere Laienübersetzungen sind im Bereich der Musik-, Medien- und Nachrichtenverbreitung im Internet zu finden. Wie Keynote-Rednerin Şebnem Susam-Saraeva (University of Edinburgh) zeigte, kann Übersetzungen aus der nicht-professionellen User-Gemeinschaft eine soziopolitische Komponente zuteil werden. So tauschen sich Türken und Griechen in Chatforen über griechische Musik aus, die sich in der Türkei großer Popularität erfreut. Die Übersetzung der Liedtexte ist dabei eine freundschaftliche Geste zwischen den Usern. Im Lichte der von Konflikten gezeichneten Beziehung der beiden Staaten wird die große Bedeutung dieser intercultural intimacy umso deutlicher. Auch im Nachrichtenbereich wird der nicht-professionellen Übersetzung soziopolitische Macht zuteil. So übersetzen Freiwillige für die Website Translate for Justice, vorgestellt durch FTSK-Doktorandin Ivana Calciano, Informationen aus Zeitungen und alternativen Nachrichtenquellen in 16 Arbeitssprachen, mit dem Ziel, diese für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen.

Eines der wohl prominentesten Konferenzthemen war ein Phänomen, das in der Fachliteratur unter dem Begriff Child Language Brokering bekannt ist: Wenn Kinder in die Rolle des Laiendolmetschers schlüpfen – meist in eingewanderten Familien, meist für die eigenen Eltern oder für Fremde. Auf der NPIT2 präsentierten unter anderen Rachele Antonini (Università di Bologna), der Psychologe Tony Cline (University College London) und die Keynote-Rednerin Claudia Angelelli (San Diego State University) ihre Studien. Dabei wurde deutlich, dass Kinder ebenso wie ihre Eltern die Vermittlungstätigkeit als familiäre Verpflichtung begreifen, die dem Familienverbund das Leben in der fremdsprachigen Umgebung überhaupt erst möglich machen. Um diese Verantwortung wahrzunehmen, wird im Ernstfall auch ein verpasster Schultag in Kauf genommen. In den vorgestellten Daten erstaunte das Feingefühl, mit dem einige Kinderdolmetscher kritische Interaktionen meisterten. So sahen einige von ihnen die eigenen Eltern Diskriminierung durch den involvierten Institutionenvertreter ausgesetzt und wendeten die Interaktion mit diplomatischem Geschick dennoch zum Guten. Situationen wie diese, aber auch die Verantwortlichkeit für „Erwachsenenaufgaben“ wie die Familienfinanzen und Versicherungen, bergen einerseits die Gefahr der Überforderung. Anderseits berichten viele der befragten Kinder mit großem Stolz von ihrer Leistung, das Selbstbewusstsein und die geistige Reife der Kinder werden gestärkt. Zukünftige Studien sollen diese Beobachtungen näher ausdifferenzieren.

Erkenntnisse daraus würden Schulungsprojekten wie dem Hampshire Young Interpreter Scheme zugutekommen, das von den Behörden im britischen Hampshire initiiert wurde und bilinguale Schüler auf die Rolle als Sprachmittler vorbereitet, sodass sie neu immigrierte Mitschüler bei ihrem Schulstart unterstützen können. Der Erfolg des Programms zeigt: Das enorme Potenzial, das nicht-professionelle Sprachmittler für die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft bieten, muss genutzt und gefördert werden. Projekte, in denen ihre Arbeit reflektiert und weiterentwickelt wird, sind der erste Schritt in die richtige Richtung.

Von hervorragendem Pfälzer Wein befeuert wurden die Konferenzthemen auch im informellen Programm weiterdiskutiert. Dabei waren sich alle einig: Wenn die Konferenz eines gezeigt hat, dann dass die Erforschung der nicht-professionellen Sprachmittlung weiter an Bedeutung gewinnen wird. Wer Gegenteiliges behauptet, verkennt die Realität und schadet letztlich auch dem professionellen Übersetzer- und Dolmetschertum. Schließlich, so Angelelli in ihrer Schlussrede, können aus der Erforschung „natürlicher“ Sprachmittlung wichtige Erkenntnisse für die Übersetzer- und Dolmetscherausbildung gewonnen werden. Beim Abschlussmeeting wurden schon fleißig Pläne zur Fortführung der NPIT-Tradition geschmiedet: Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften lädt nach Winterthur zur NPIT3 ein, die in zwei Jahren stattfinden soll. Die NPIT4 wird voraussichtlich 2018 in Südafrika abgehalten.

Bericht: Cosima Röder